.Müssen Arbeitgeber ihren Mitarbeitenden, die während ihres Jahresurlaubes aufgrund einer behördlichen Anordnung in Corona-Quarantäne mussten, die Urlaubstage nachgewähren? Generalanwalt Priit Pikamäe sieht in seinen Schlussanträgen vor dem Europäischen Gerichtshof keine Notwendigkeit dafür.
Während der Coronapandemie kam es zu zahlreichen neuen arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen. Die Frage, ob Urlaubstage im Fall einer angeordneten Quarantäne vom Arbeitgeber wieder gutzuschreiben sind, wurde von verschiedenen Landesarbeitsgerichten unterschiedlich beantwortet. Im Fall eines Schlossers hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) dazu nicht entschieden, sondern sich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gewandt.
In einem ähnlich gelagerten Fall vertritt nun der EU-Generalanwalt in seinen Schlussanträgen die Auffassung, dass es Unionsrecht nicht widerspricht, wenn der Arbeitgeber den einmal gewährten Urlaub nicht gutschreibt.
Zwischenzeitlich ist der Gesetzgeber aktiv geworden und hat seit September 2022 im Infektionsschutzgesetz geregelt, dass der Arbeitgeber Urlaubstage während einer Corona-Quarantäne wieder gutschreiben muss.
Der Fall: Quarantäneanordnung während des Urlaubs
Der Arbeitnehmer in diesem Verfahren ist bei der Sparkasse Südpfalz beschäftigt. Von 3. bis 11. Dezember 2020 nahm er seinen bezahlten Jahresurlaub, den der Arbeitgeber ihm zuvor für diese Zeit bewilligt hatte. Weil er am Arbeitsplatz mit einer Covid-19-infizierten Person Kontakt hatte, erhielt er einen Tag vor Beginn seines Urlaubs, am 2. Dezember 2020, gemäß § 28 IfSG eine Quarantäneanordnung der Kreisverwaltung Germersheim. Seinen Urlaub musste er also notgedrungen zu Hause verbringen, wobei er selbst nicht erkrankte und sich auch nicht infizierte. Vom Arbeitgeber verlangte er die Gutschrift der Urlaubstage. Der Arbeitgeber lehnte dies ab.
Quarantäne als Lebensrisiko des Arbeitnehmers?
Der Arbeitnehmer klagte daraufhin vor dem Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein. Das Gericht verwies darauf, dass nach überwiegender Auffassung der deutschen Gerichte in solchen Fällen kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Nachgewährung des Urlaubs besteht. Nach § 1 BurlG besteht der Anspruch auf Urlaub darin, für diese Zeit vom Arbeitgeber von der Arbeitspflicht freigestellt und dennoch bezahlt zu werden. Darüber hinaus fielen alle eventuell den Urlaub beeinträchtigenden Ereignisse in den Risikobereich des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin als Teil des persönlichen Lebensschicksals.
EuGH soll Nachgewährung von Urlaub klären
Ausnahme hiervon ist eine Arbeitsunfähigkeit des oder der Arbeitnehmenden während des Urlaubs, sofern diese ärztlich bescheinigt ist. Eine solche verpflichtet den Arbeitgeber gemäß § 9 BurlG, den Urlaub nachzugewähren. Auf Fälle einer behördlichen Quarantäne lasse sich dies nach überwiegender Ansicht der deutschen Gerichte jedoch nicht übertragen, solange der Arbeitnehmer gesund und demnach nicht arbeitsunfähig sei. Das Arbeitsgericht Ludwigshafen fragte sich – und infolgedessen den EuGH -, ob dieser Ansatz mit dem unionsrechtlichen Anspruch auf Jahresurlaub vereinbar ist.
EuGH-Generalanwalt: Keine Pflicht für Arbeitgeber, Urlaub neu zu gewähren
Der EuGH-Generalanwalt Priit Pikamäe kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass das Unionsrecht nicht vorschreibt, dass der bezahlte Jahresurlaub eines Arbeitnehmenden, der mit einer behördlich angeordneten Quarantäne zusammenfällt, auf einen anderen Zeitraum verschoben wird. Nach Meinung des Generalanwalts lässt sich die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Krankheitsurlaub nicht auf die Fälle einer behördlich angeordneten Absonderung übertragen, da keine Arbeitsunfähigkeit im Sinne der EuGH-Rechtsprechung vorliege.
Recht auf Urlaub garantiert keinen erfolgreichen Urlaub
Man könne auch nicht sagen, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub nicht erhalten habe. Unionsrechtlich sei kein Ergebnis garantiert, sondern nur, dass der Arbeitnehmer den bezahlten Mindestjahresurlaub erhält und in dieser Zeit, ohne Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber, die Möglichkeit hat, sich auszuruhen oder Freizeitaktivitäten durchzuführen. Beides sei wegen der Quarantäne zwar eingeschränkt, aber dennoch möglich gewesen.
Hinweis: Schlussanträge des Generalanwalts Priit Pikamäe vor dem EuGH vom 4. Mai 2023 in der Rechtssache C‑206/22